Meine Geschichte dreier Städte

Momentaufnahmen einer Reise nach Dresden, Erfurt und Weimar

3. Weimar

 

Kannst du lesen, so sollst du verstehen;

Kannst du schreiben, so musst du etwas wissen.

Goethe, Maximen und Reflexionen

 

best buddies: Goethe (rechts)  und Schiller (links) in Weimar

 

 

Meister Goethe hätte unser Hotel bestimmt gut gefallen. Das "Grande Albergo Giancarlo" besticht durch seine Lage mitten in der Altstadt mit Blick auf Schillerstraße und Frauenplan und vor allem durch seine Freundlichkeit und die mediterrane Lebensart.

 

Ich bin sicher, der Erfinder der Farbenlehre wäre begeistert von den Zimmern gewesen, die alle in unterschiedlichen Farben angestrichen sind. Der Italienliebhaber Goethe hätte die typisch italienische Einrichtung begrüßt und garantiert auch die komfortable Ausstattung genossen. Inklusive Regendusche mit Massagefunktion.

Nicht zuletzt aber wäre der Frauenliebhaber Goethe entzückt gewesen angesichts der großartigen Frauenporträts an den Wänden: Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Brigitte Bardot.  

 

 

 

Auch wir genießen das Ambiente des Hotels, in dem wir uns für vier Nächte einquartiert haben. Eine Stadtführung wollen wir in den nächsten Tagen mitmachen und einen Ausflug nach Erfurt unternehmen.

 

Für die Besichtigungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und von Goethes Wohnhaus haben wir schon vorher im Internet Zeitfenster-Tickets gekauft. Was eine weise Entscheidung war, denn anders hätten wir höchstwahrscheinlich keine Chance gehabt, die beiden Häuser zu besuchen.

 

Gerne hätten wir uns beispielsweise auch noch das Bauhaus-Museum angesehen und Schillers Wohnhaus oder uns ein Konzert im Deutschen Nationaltheater gegönnt, aber man muss ja auch einen Grund zum Wiederkommen haben.

 

Und so sagten wir uns "Mut zur Lücke!" und genossen entspannte Tage in Weimar. Einschließlich einer ausgesprochen engagierten und inspirierenden einstündigen Stadtführung, einschließlich einiger Eisbecher und Doppios in Straßencafés, einem längeren Spaziergang im Park an der Ilm, einem Besuch der Herderkirche sowie dem Verkosten von Thüringer Klößen im berühmten "Scharfen Eck". 

 

 

 

Entschleunigung brachte auch das Stöbern in der großartigen "Hoffmann's Buchhandlung" in der Schillerstraße. 

 

 

Diese Buchhandlung, die anfangs im Cranachhaus am Marktplatz ansässig war, wurde 1710 in Weimar gegründet und war eine der bedeutendsten Buchhandlungen Deutschlands. Goethe, Schiller, Herder und Herzogin Anna Amalia waren hier Stammkunden. 1898 zog die Buchhandlung in die Schillerstraße um und wurde an Fritz Gräf verkauft, von dessen Familie sie noch heute weitergeführt wird.

 

Ich lasse mich verzaubern vom klassischen Charme der Holzwände, vom Kachelofen und der alten Registrierkasse, die noch in Betrieb ist, von der Freundlichkeit der Buchhändlerin – und vor allem von dem Angebot: jedes Buch, jeder Kalender und jede Karte in diesem Laden scheinen einzeln und mit viel Sachverstand und Liebe ausgewählt.

 

"Hoffmann's Buchhandlung" trotzt dem Trend und braucht offensichtlich nicht die Konkurrenz von beispielsweise einem modernen Buchhandelsunternehmen zu fürchten, das den Namen einer Muse trägt und nur ein paar Häuser weiter zu finden ist.


Nachdem wir schon in der Buchhandlung über Anna Amalia gestolpert sind, die Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807), bleiben wir bei den Büchern und sehen uns jetzt die Herzogliche Bibliothek an. 

 

Gegründet wurde sie im Jahr 1691, als Herzog Wilhelm Ernst seine gesammelten 1.400 Bücher der Öffentlichkeit zugänglich machte. Da die Büchersammlung immer größer wurde, zog sie 1766 vom Residenzschloss ins "Grüne Schloss"; im gleichen Jahr wurde auf Anweisung von Herzogin Anna Amalia auch der Rokokosaal in das Renaissanceschloss eingefügt. Im Jahr 1991 wurde die Bibliothek dann in "Herzogin Anna Amalia-Bibliothek" (HAAB) umbenannt.    

Der Sohn der Herzogin, Carl August, der 1775 die Regierung übernommen hatte, baute sie weiter aus. Er freundete sich mit Goethe an und berief ihn 1797 als Bibliothekar an die Bibliothek – ein Job, den Goethe bis zu seinem Tode 1832 ausübte.

Goethe machte aus der HAAB eine der bedeutendsten Bibliotheken ihrer Zeit; der Buchbestand wuchs auf 80.000 Bände an, und der angrenzende Turm wurde zwischen 1821 und 1825 zum Bibliotheksturm umgebaut.  

 

Herzstück des Historischen Gebäudes ist der Rokokosaal, der zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Dabei ist auch hier nicht mehr alles so erhalten wie früher, denn in der Nacht vom 2. auf den 3. September 2004 brach im Dachstuhl des Hauses ein verheerendes Feuer aus.

Der mdr veröffentlichte dazu ein bewegendes Video: 

Brand in der HAAB 

 

Neben Schäden am Gebäude gingen 50.000 Bücher sowie 35 Gemälde aus dem 16. bis 18. Jahrhundert vollständig verloren, rund 62.000 Bände wurden durch Feuer und Löschwasser zum Teil stark beschädigt.

 

In übergroßen Filzpantoffeln schlurfe ich gemeinsam mit knapp zehn anderen Besuchern über das Parkett des Rokokosaals und empfinde … nichts. Ich hatte erwartet, hier etwas vom Geist der Klassik zu spüren, von dem berühmten Leiter der Bibliothek und seinen gelehrten Freunden. Aber der ovale, zweigeschossige Saal mit seinen spurlos renovierten weißen Wänden, mit den goldenen Stuckelementen, den mühsam restaurierten Büchern, mit seinen Gemälden und Büsten schweigt und wirkt leblos auf mich. Irgendwie Disneyland. Das ist mir noch in keiner alten Bibliothek passiert.

Auch der Audioguide weiß mich nicht zu begeistern, denn er erklärt nur die Exponate, so dass ich ihn nach den ersten Sätzen ausstelle.

Was mich jedoch wirklich beeindruckte, das waren die beiden riesigen hölzernen Bibliotheksleitern auf Rollen. Obwohl auch sie garantiert Nachbauten sind.

 


"Des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben" schrieb Goethe 1795 an den Maler und Freund Johann Heinrich Meyer.

  

Dieses "halbe Leben" wollen wir kennenlernen. Auf unserem Spaziergang im Park an der Ilm konnten wir Goethes Gartenhaus leider nur von außen bewundern, da es ausgerechnet an diesem Tag geschlossen hatte.

 

 

Im Jahre 1776 war das Gartenhaus (auf dem obigen Foto rechts hinten) Goethes erster eigener Wohnsitz in Weimar geworden. Als das Haus aufgrund der immer umfangreicher werdenden Sammlungen des Hausherren aus allen Nähten zu platzen drohte, zog dieser 1782 als Mieter in das Haus am Frauenplan, wo er dann fast 50 Jahre lang lebte und arbeitete.

 

Herzog Carl August erwarb das Haus 1792 und schenkte es seinem Minister - offensichtlich, um den acht Jahre älteren, mit dem ihn mittlerweile eine tiefe Freundschaft verband, in Weimar zu halten. Goethe zog mit Frau und Kind ein und begann umgehend mit der Um- und Ausgestaltung des Gebäudes.

Von seiner Italienreise in den Jahren 1786-1788 war er tief beeindruckt und inspiriert zurückgekommen, und diese Erfahrungen prägten maßgeblich den Charakter der Veränderungen. Den größten Eingriff in die Substanz des Hauses bildete dabei der Einbau einer großzügigen Treppenanlage, die Goethe nach italienischem Vorbild entworfen hatte, und für die er mehrere Räume opfern musste.

 

Diese Treppe mit ihren flachen Stufen schreite ich (anders geht das kaum) jetzt hinauf und bin sogleich gefangen von der Atmosphäre dieses Hauses. 200 Jahre alt und doch sehr lebendig erscheint es mir; aus jeder Pore atmet es den Hauch des Genies.

 

  

Und während ich beeindruckt über knarrende Dielen durch die farbig gestrichenen Räume mit den vielen Gipsabgüssen von Werken der Antike gehe und alles auf mich wirken lasse, spüre ich, dass dieses Haus mehr war als nur eine Wohnstätte. Die nach Goethes Kunstidealen und vielseitigen Interessen gestalteten Räume dienten der Geselligkeit und dem Austausch, kulturell und wissenschaftlich.

 

Goethe war ein Jäger und Sammler, das wird hier in seinem Haus deutlich klar. Über 7000 Bände beinhaltet seine alle Wissensgebiete umfassende Privatbibliothek (die momentan leider nicht zugänglich ist), und in Schränken und Vitrinen teilweise verborgen findet sich seine Kunstsammlung mit über 25.000 Stücken und 22.000 naturwissenschaftlichen Sammlungsgegenständen.

 

Ich befinde mich im Junozimmer, das als Empfangsraum und Musiksalon diente. Hier fanden Soireen statt und Teegesellschaften, hier trafen sich Goethes Gäste zu regem Gedankenaustausch: die Mitglieder der herzoglichen Familie, Wieland, Herder, Schiller, aber auch die Brüder Humboldt, Grillparzer, Heinrich Heine und andere Größen der Zeit.

Ein Flügel steht im Raum. Ich schließe die Augen und sehe die Szene lebhaft vor mir: der 12jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy sitzt daran und Goethe fordert ihn freundlich auf: "Söhnchen, (…) mach er mir ein wenig Lärm."

 

Höhepunkt sind jedoch Goethes Privaträume im Hinterhaus: das Schlafzimmer, in dem er starb und sein Arbeitszimmer, das sich noch weitestgehend im Originalzustand befindet. Es wirkt, als hätte der Gelehrte eben erst seinen Schreibtisch verlassen, um in den Garten zu gehen; die Schreibfeder steckt noch im Tintenfass. 

 


Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts war Weimar das intellektuelle Zentrum Deutschlands. Und auch im 21. Jahrhundert steckt es - neben aller Beschaulichkeit mit Kopfsteinpflaster und Pferdekutschen – voller Überraschungen und bietet auf kleinem Raum mehr Kultur und Lebensqualität als manche größere Stadt.

  

Schließen möchte ich mit den ersten Eindrücken, die ich in mein Reisetagebuch kritzelte:

"Weimar. Eine tolle, grüne Stadt mit freundlichen Menschen; kreativ, voller Kultur und Historie, dabei aber modern und streckenweise sympathisch unangepasst."

 

Oder wie Goethe zu seinem Freund Eckermann sagte:

"Wo finden Sie auf so einem engen Fleck noch so viel Gutes?"


Nachbemerkung und Quellen:

 

Man möge es mir verzeihen, wenn mein Weimarbericht ziemlich goethelastig geworden ist; natürlich kann man die Stadt auch unter anderen Vorzeichen kennenlernen und erleben. Bei mir war es aber nun einmal das Universalgenie Goethe. Mit dem man uns auf dem Gymnasium stark gequält hat, und den ich erst hier und jetzt so richtig kennen- und schätzen lernte.     

 

 

1. Klassik Stiftung Weimar 

2. Werche, Bettina u.a.: Goethes Wohnhaus. Broschüre der Klassik-Stiftung Weimar 2016

3. Schmidt, Martin: City Trip Erfurt – Weimar. 2019 (Reise Know How) 

4. Norbert Oellers und Robert Steegers: Weimar. Literatur und Leben zur Zeit Goethes. Reclam 2016

 

© 2021


... und hier ist Platz für Eure Ergänzungen:

Kommentare: 4
  • #4

    Blula (Dienstag, 26 Oktober 2021 08:00)

    Liebe Beate !
    Das ist ein wahrlich inspirierender Foto-Bericht über Weimar, den Mittelpunkt deutscher und europäischer Kulturgeschichte. Ich sehe, dass man sich viel Zeit mitbringen sollte, um diese Stadt zu erkunden, in zwei-drei Tagen kann das nicht geschehen, schon gar nicht, wenn man dazu neben kultur- auch noch architekturbegeistert ist.
    Ja, Weimar will/muss ich nun auch unbedingt alsbald mal kennenlernen. Darum ein Dankeschön von mir für die wertvollen Hinweise und guten Tipps, die ich sicher beherzigen werde, z.B. auch die bzgl. der Tickets.

  • #3

    Hedi (Montag, 25 Oktober 2021 11:20)

    Liebe Beate,
    das ist mal wieder ein lesenswerter Bericht mit den von dir bekannten und schon erwarteten guten Fotos!
    In Corona-Zeiten besinnt man sich auf das Gute, das so nah liegt ... Geht uns auch so. Weimar ist bestimmt eine Reise wert. Das haben sicher auch die Geistesgrößen vergangener Zeit gedacht, die sich dort versammelt haben, wobei ich nie so ganz verstanden habe, weshalb Goethe und Schiller so befreundet gewesen sein sollen. Schiller ist so furchtbar pathetisch ( finde ich jedenfalls) und kann Goethe nicht das Wasser reichen - finde ich jedenfalls. Aber wer kann (konnte) das schon!
    Die Bibliothek wirkt tatsächlich steril, ein bloßes Schauobjekt. Kein Stuhl, kein Tisch, keine Ablage, wie du inzwischen ergänzend geschrieben hast. Dabei ist sie seinerzeit bestimmt mit geistigem Leben erfüllt gewesen!
    Bleibt für mich nur ein Rätsel: Was ist eine Regendusche ...?
    ... fragt sich Hedi.

  • #2

    Tina (Sonntag, 24 Oktober 2021 09:34)

    Hach, jetzt könnte ich gerade auf einen 4. Besuch in das Städtchen reisen!
    Bei DEINEM nächsten trip dorthin solltest du den Ausflug zum Schloß noch mit reinpacken und Bauhaus definitiv! Ich war bislang nur im alten Bauhaus-Museum. Das neue war noch im Bau seinerzeit.
    Und kennst Du die Creperie in org. französischem Stil? Oder das Donndorf? Schön, wie Du schreibend an Goethe orientiert durch Weimar gewandelt bist!
    Danke für das Wecken der Reiselust!
    (P.S.: ich habe mir bei Hoffmann ein Büchlein über alle Persönlichkeiten,die in Weimar lebten,gekauft. Absolut erstaunlich,wer sich dort alles,zu unterschiedlichen Zeiten,tummelte!)
    Leider hat die Stadt nicht nur kulturell ein erstaunliche Historie,sondern auch politisch....
    Ein Besuch in Buchenwald zog mich gewaltig runter nach all' der ansonsten so heiter geprägten Eindrücke).
    Viele Grüße! Tina

  • #1

    Angelika (Sonntag, 24 Oktober 2021 09:02)

    Wundervoll! „Dein“ Weimar ist so anders als „mein“ Weimar vor ein paar Wochen. Anlässlich des Zwiebelmarkts war es doch sehr voll in den Gassen und das Dreamteam Goethe&Schiller ging leicht unter. Was soll‘s! Ich fahre nochmal hin! �
    Danke für Deine schöne Geschichte und Bilder!