Berlin

klartext. eine zeitreise

 

am anfang waren die plakate. leicht zerfetzt. rot, grün und gelb hängen sie vor altersschwarzen mauern. und in deinem hirn legt es einen schalter um. vierzig jahre zurück.

 

discotheken und beatschuppen. musik von frank zappa und led zeppelin, von black sabbath und uriah heep. im jazzkeller hinter der dunklen, steilen treppe spielt klaus doldinger. live.

 

wie in trance durch ein offenes, schattiges tor. déjà-vu. dahinter ein lichtdurchfluteter raum. ein innenhof. schwingende spanholzplatten überbrücken eine riesenpfütze, flankiert von blauen müllsäcken.

eine anderswelt aus hütten und blech, plastik und abblätterndem holz. neben dem dixiklo das frische grün eines jungen bäumchens. fassaden voller graffiti. fenster und stahlbeton, der sprengung entkommen. darüber ein strahlend blauer himmel.

mackie messer. und der haifisch, der hat zähne.

 

auf diesem gelände wohnen und arbeiten geschichtenerzähler und zauberer. „war + drug creates sadness". mit einer sprühflasche benetzen sie ihr tablettgroßes steingärtchen auf der etagere. sie meditieren in der sonne, werfen dabei ab und zu eine zigarettenkippe in ein rostiges gefäß. und mit heruntergeklapptem visier versprühen sie blaue funken, fügen eisenteile zusammen.

 

die eisenteile leben auf dem hof. als rostiger fisch oder als fluggerät, als star wars gestalt, als tanzender stier, racheengel und grinsekatze. und zwischen den hufen des eisenpferdes bricht sich ein zartes pflänzchen den weg durchs pflaster ans licht.

 

die luft ist geschwängert mit fantasie. hallt wider von wummernden techno beats. und mit jeder pore saugst du die kreativität ein, die hier herrscht.

 

in den werkstätten berge von ungerahmten gemälden, überquellende schreibtische und ungewöhnliche pflanzen in flaschen. es riecht nach gras und du bist sofort wieder in der welt von jack kerouac, von carlos castaneda und allen ginsberg. bist vierzig jahre jünger ...

 

nach ewigkeiten bist du bereit diesen ort zu verlassen. wieder durch die passage. und dein letzter blick gilt dem rostigen schild das da heißt „tacheles". klartext. 

 

 

Wir reisen nicht nur an andere Orte,

sondern vor allem reisen wir

in andere Verfassungen der eigenen Seele.

 

Werner Bergengruen (1892 - 1964)

© 2010